#9/100 Piz Boé (Dolomiten) 3.152m
Anspruchsvolle Überquerung der Sella
Manchmal bedarf es eigentlich keiner Worte, um zu verstehen, was den Reiz einer Bergtour ausmacht. Für mich persönlich reicht das Titelbild dieses Beitrags völlig aus. Wie beschreibt man eine Gipfelbesteigung, die so wunderschön war, dass es einem auch noch zwei Wochen danach die Sprache verschlägt? Die aber anderseits auch die letzten Kräfte geraubt, einige blaue Flecke gekostet und mit einem unverhofften Klettersteig auch noch „böse“ Überraschungen bereithielt? Da trifft es die betende (oder dankende?!) Madonna auf dem Gipfel des Piz Boé, hinter der gerade noch ein paar milde Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brechen, wohl am besten. Zumal auf der bildabgewandten Seite im selben Moment tiefdunkle Wolken rasch heranziehen. Sie lassen mich zwanzig Minuten nach diesem Foto – noch vor dem Frühstück – klitschnass auf der Boé-Hütte ankommen.
Wohl nahezu jedem, den es einmal in die Dolomiten verschlagen hat, ist der Sellastock mit seinem markanten, pyramidenförmigen Hauptgipfel ein Begriff. Wer ihn einmal von einem der umliegenden Gebirgsstöcke gesehen hat, wird den Anblick immer präsent haben. Dieses riesige Massiv mit seinen steil abfallenden Flanken, das irgendwie rund und unbezwingbar wirkt. Und ganz oben erhebt sich wie eine Zipfelmütze der Piz Boé. Wer von Süden aus der Ferne auf die Sella schaut, kann sich kaum vorstellen, dass sie ein normaler Bergwanderer durchqueren kann. Aber es geht, auch wenn es Kraft kostet.
Belohnungen für die Strapazen gibt es reichlich. Nach meiner dreiwöchigen Dolomiten-Erkundungstour kann ich sagen, nirgends ist die Gebirgswelt so skurril wie auf der Sella. Wenn die Vegetationsgrenze passiert ist, fühlt man sich wie auf dem Mond. Glatt geschliffene Felsplatten, schiefe Dolomiten-Türme, zwischendrin wechseln sich feiner Schutt und riesige Gesteinsbrocken ab. Klein wie eine Ameise schiebt man sich hinauf: staunend, ehrfürchtig und schließlich auch dankbar, es ohne größere Blessuren geschafft zu haben. Da stört es dann auch kaum, dass sich der Paradegipfel, der für seine feine Aussicht bekannt ist, in zähe Wolken hüllt. Der Piz Boé ist einer der Berge, wie ich finde, die man mal gemacht haben sollte.
Sella Überschreitung: Tour im Überblick
Genau genommen ist die Sella während meiner langen Dolomiten-Wanderung nur einer von vielen Gebirgsstöcken. Ich plane bei der Überschreitung eine Zwischenübernachtung ein, weil ich am Aufstiegstag nicht wie hier angegeben am Sellajoch starte, sondern an der Langkofelhütte. Am Abstiegstag geht meine Reise zudem weiter bis zur Puezgruppe. Für den Genuss würde ich aber auch allen, die sich „nur“ den Sellastock samt Piz Boé vornehmen, eine Zwischenübernachtung in der Boé-Hütte, auch als Bambergerhütte bekannt, ans Herz legen. Die Tour hat es nämlich aufgrund der schwierigen Wege in sich.
- Ausgangspunkt: Sellajoch
- Endpunkt: Grödner Joch
(Rückfahrt mit dem Bus, Umstieg in Plan de Gralba, oder mit dem Taxi) - Aufstieg: 1320 m
- Abstieg: 1430 m
- Länge: 19,2 km
- Dauer: 9-10:00 h
- höchster Punkt: Piz Boé 3.152 m
- Schwierigkeit: schwer
- Hundetauglichkeit: 1 von 5 Sterne
Im Grunde ist die ganze Sella Überschreitung geprägt von vielen Highlights. Hinter jeder Kurve verbergen sich phänomenale Blicke in diese irre Gebirgswelt. Natürlich ist der Gipfel des Piz Boé selbst ein herausragender Punkt. Ebenso der Pisciadú-See, den wir beim Abstieg passieren. Ähnlich gestaltet es sich mit der Schwierigkeit der Wege. Es gibt nicht die eine Schlüsselstelle, sondern nahezu der gesamte Weg – vielleicht die ersten Kilometer ausgenommen – ist anspruchsvoll. Egal ob Auf- oder Abstieg, wir wandern hier überwiegend auf schweren (schwarzen) Bergwanderwegen, oft der Kategorie T3/T4. In dem steilen Gelände braucht es sehr gute Kondition, Schwindelfreiheit und absolute Trittsicherheit. Im Abstieg vom Piz Boé gibt es viele versicherte Passagen, die bei unsicheren Wanderern auch ein Klettersteigset empfehlenswert machen. Alpin erfahrene Bergwanderer schaffen die Passagen auch ohne Sicherung.
Mit Hund auf den Piz Boé
Die vorstehenden Zeilen machen eigentlich schon klar: für Hunde ist der Weg nicht sonderlich geeignet und bleibt sehr erfahrenen Mensch-Hund-Gespannen vorbehalten. Wer unserer Route folgt, braucht zwingend ein gutes Bergsteigergeschirr inklusive Seilsicherung mit der man den Hund beim Abstieg von der Pisciadú-Hütte zum Grödner Joch auch mal an den Drahtseilen zwischensichern kann. Zudem muss man den Hund hier und da heben und auch mal ein paar Meter tragen können. Es gibt eine einfachere Variante von der Pisciadú-Hütte hinab. Der Weg durch das Mittagstal. Mit Hund ist dieser Weg (Nr. 676 und 651) die bessere Alternative.
Solltet ihr erfahren genug sein, diese schöne Bergtour über die Sella im Rudel unternehmen zu wollen, sollte ihr unbedingt Pfotenschuhe (Booties) einpacken. Ich habe diese immer im Rucksack und 5000 Kilometer eigentlich nur in der Gegend herumgetragen. Aber jetzt brauchten wir sie. Das schroffe Dolomiten-Gestein sorgt für einen immensen Abrieb an den Pfoten. Achtet darauf, dass sie wirklich gut passen und der Hund seine Zehen auch spreizen kann. Das Gelände erfordert auch eine sehr gute Trittsicherheit beim Hund. Ich kann natürlich nicht leugnen, dass wir nach dieser Tour unglaublich stolz waren, sie gemeinsam geschafft zu haben.
Übernachtung auf der Piz Boé Hütte
Wer die Sella Überschreitung auf zwei Tage aufteilen will, kann eine Zwischenübernachtung einplanen. Dazu stehen zwei Hütten auf dem Sellastock bereit: Die schon erwähnte Boé-Hütte (Bambergerhütte), etwa 250 Höhenmeter unterhalb des Gipfels des Piz Boé und das Rifugio Capanna Fassa (Fassahütte) direkt auf dem Gipfel. Erstere erlaubt auch das Mitführen von Hunden auf Anfrage. Die Hütte ist gut geführt, mittlerweile aber so groß und modern, dass das Hüttenfeeling etwas verloren geht.
Höhenprofil Bergtour zum Piz Boé
Download: GPX Piz Boé
Kartenmaterial: Val di Fassa e Dolomiti Fassane: Wanderkarte Tabacco 06. 1:25000 (Werbelink)
Varianten: Wir waren damals aufgrund unserer Hüttentour auf diesen Wegverlauf festgelegt. Wer nur die Sellaüberquerung machen will, dem würde ich die entgegengesetzte Richtung empfehlen, also Start am Grödner Joch. So hat man den schwierigsten Teil im Aufstieg. Vom Grödner Joch hinauf zur Pisciadú-Hütte führt ein sehr einfacher Klettersteig, den man mit Erfahrung auch ohne Klettergurt/-set gut meistern kann. Außerdem gibt es dann vom Piz Boé noch eine weitere Abstiegsmöglichkeit, nämlich auf dem Weg 638 zur Franz-Kostner-Hütte und weiter zur Bergstation des Vallon-Liftes. Diese Tour ist auch etwas kürzer: Aufstieg: 1350, Abstieg: 950, Dauer: ca. 7:30 h.
Zur Piz Boé-Hütte
Von der doch recht quirligen Talstation der Gondelbahn Forcella del Sassolungo (1) wenden wir uns – die Langkofelgruppe samt Seilbahn im Rücken – nach rechts oben und biegen dann links auf den parallel zur Passstraße verlaufenden Wanderweg ab. Der Weg ist einfach, aber mit dem Blick voraus auf den links liegenden Sellastock und die rechts majestätisch aufragende Marmolata trotzdem wunderschön. Nur kurz darauf erreichen wir die letzte Station der Zivilisation, das Sellajoch (2). Auf der gegenüberliegenden Seite führt der Wanderweg dann zunächst hinauf und uns am Fuße der beiden Sellatürme wieder hinab zur Passstraße.
Wir wandern einige hundert Meter auf der Straße entlang bis zur nächsten großen Kehre, wo links unser Aufstiegsweg 656 abzweigt. Kurz darauf passieren wir die letzten beiden Wasserstellen für den gesamten Weg – logisch das Outdoor-Adventure-Dog Lotte diese letzte Abkühlung noch mal ausgiebig nutzt. Auf der Pian de Siela (3) trifft von unten der Weg 647 (Achtung: 2021 gesperrt) auf unsere Tour und wir folgenden diesem nun zunächst 600 steile und nicht enden wollende Höhenmeter hinauf. Zwischendurch verjüngt sich der Weg immer wieder mal zum Steig, der den Einsatz der Hände erforderlich machen kann.
Schließlich biegen wir mit unserem Pfad nach rechts und erreichen eine weitläufige Ebene. Die Vegetationsgrenze haben wir nun weitestgehend passiert und die Landschaft wirkt karg, schroff und wir fühlen uns mächtig klein in dieser Gebirgswelt. Mit etwas Orientierungssinn erreichen wir schließlich den Wegweiser am Zwischenkofel (4). Links biegt der Wanderweg 649 ab, dem wir zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Rechts führen zwei Steige zur Piz-Boé-Hütte. Wir entscheiden uns für den linken der beiden Wege (Weg 666), der zwar ein paar weitere Höhenmeter bereithält, dafür aber keine Kletterstellen. Kurz darauf erreichen wir die auf einem großen Plateau stehende Piz-Boé-Hütte (5).
Zum Piz Boé
Für uns ist das Ziel dieses Tages damit erreicht. Je nach Wetterlage kann man nun oder am nächsten Morgen die Besteigung des Piz Boé anschließen. Ich entscheide mich für einen Aufstieg am frühen Morgen, noch vor den Frühstück. Auch wenn in den Karten die Kreuze Kletterstellen markieren, ist der Aufstieg für den geübten Bergwanderer doch einfach und ohne besondere Ausrüstung möglich. Der Weg 638 führt zunächst einfach, später ausgesetzter und versicherter hinauf. Es gibt sogar zwei versicherte Aufstiege auf diesem Weg, einer als Hinweg, einer als Rückweg gekennzeichnet. Wer mit Hund den Aufstieg zum Piz Boé frühmorgens macht, kann zwischen den Wegen wählen (der „Rückweg“ ist etwas einfacher und weniger ausgesetzt), da dann noch nichts los ist.
Die Wege führen später wieder zusammen und man schlägt rechts den Weg zum Rifugio Capanna Fassa bzw. zum Gipfel des Piz Boé (6) ein. Der Abstieg zur Piz-Boé-Hütte (5) erfolgt auf dem Hinweg.
Abstieg zum Grödner Joch
Nach einer Stärkung geht es wie am Vortag auf dem Weg 666 zurück zum Abzweig mit Wegweiser am Zwischenkofel (4). Dem Weg mit der Schnapszahl folgen wir bis zur Pisciadú-Hütte, gehen also zunächst etwa 100 Höhenmeter hinauf. Hier offenbart sich ein so traumhafter Blick hinüber zur Puez-Geislergruppe, dass es wirklich kaum auszuhalten ist. Da wir am Morgen noch Regen hatten, dampfen die Reste davon in Form von kleinen Nebelfetzen hinauf. Irre. Aber es kommt noch besser.
Auf einem zwar steilen, aber doch guten Wanderweg legen wir die ersten Abstiegshöhenmeter auf unser Sella Überschreitung zurück bis zur nächsten Ebene. Auf dieser erwarten uns zwei junge Steinböcke, welche die wenigen Happen Grün verzehren. Was für eine Idylle inmitten dieser zackigen, schroffen Berge. Nun wird die Route anspruchsvoller. Der Steig ist mit einigen Versicherungen im ausgesetzten Gelände aber doch recht gut zu meistern. Am Abzweig zur Pisciadú-Spitze (7) halten wir uns links. Hier treffen wir auch wieder auf Wasser.
Unser Steig hält weitere Versicherungen bereit, bis schließlich vor uns der Pisciadú-See ins Blickfeld kommt. Als wir tiefer zu ihm hinabsteigen, sehen wir auch die Pisciadú-Hütte (8) in traumhafter Lage darüber thronen. Was für ein Ort! Auch ab hier bleiben wir unserem Weg 666 treu und setzten unseren Abstieg Richtung Grödner Joch weiter fort. Uns erwartet noch ein einfacher Klettersteig (A). Diese Passage ist für Erfahrene problemlos ohne Sicherung zu meistern, lediglich der zuweilen doch recht starke Gegenverkehr ist anstrengend.
Nach dem Ausstieg aus dem Klettersteig geht es ein weiteres Stück in steilen Serpentinen hinab, ehe der Wanderweg nach links zum Grödner Joch abbiegt. Dieses, nun wieder einfache Teilstück, verläuft wieder in einer tollen grünen Landschaft, der Blick hinüber zur Puez-Geisler-Gruppe vor dem die sanften grünen Hänge liegen ist wunderschön. Und dann ist auch schon rasch das Grödner Joch (9) und damit das Ende dieser tollen Bergtour erreicht.
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6 Kommentare zu “#9/100 Piz Boé (Dolomiten) 3.152m”
Manometer Romy, wieder mal eine tolle Bergtour die Ihr gemacht habt. Auch auf die Gefahr hin das ich mich wiederhole, Deine Fotos sind „out of this world“. Beim Fußball würde man wohl Champions League sagen. Mich würde mal interessieren welche Kamera Du benutzt und welche Bildbearbeitungsprogramm.
Bin schon auf die nächste Bergtour oder Wanderung von Euch gespannt.
Ganz liebe Grüße aus Glencoe
Thomas
Hey Thomas,
danke dir – bei den Motiven fällt das fotografieren auch nicht schwer. Ich habe nun eine kleine Systemkamera, die schön leicht ist, eine Sony A6000. Ich bearbeite meine Bilder so gut wie gar nicht. Hier mal ein bisschen Belichtungskorrektur, da mal ein bisschen Schwarzwert, mehr mache ich eigentlich nicht. Dazu reicht mir das kostenfreie Programm Gimp.
Liebe Grüße!
Romy
Hallo Romy,
Eure Tour ist eine grandiose Inspiration und sehr hilfreiche Orientierung für meinen ersten Ausflug in die Dolomiten.
Daher würde ich allerdings auch gern genauer nachfragen: bist du an EINEM Tag von der Langkofelhütte bis zur Hütte auf dem Piz Boe gewandert, also Abstieg und Abstieg?? Oder hast du abwärts die Seilbahn genommen? Oder an der Talstation übernachtet?
Und noch eine Frage – wenn ihr weiter zur Puezregion wolltet, warum seid ihr dann zum Grödner Joch abgestiegen und nicht über Kolfuschg gleich weiter östlich gelaufen?
Über deine Auskünfte/Hinweise zu meinen Fragen würde ich mich sehr freuen. Ich plane eine Etappentour ebenfalls über Langkofel, Piz Boe und Puez und daher interessieren mich deine „Anschlussstellen“ sehr (zumal ich auch gern den schwierigen Abstieg zum Gr. Joch ungehen würde)
Liebe Grüße
Jette
Bin erst heute auf Romy´s WS gestossen.
Zu Deiner Frage oben: Warum nicht gleich den Alta Via Delle Dolomiti No.2 nehmen ? Der startet allerdings in Bressanone und endet in Feltre. Passo Gardena via Sella-Plateau zum Passo Pordoi. Fedaia-Stausee und hinauf auf die Punta Penia
Liebe Jette,
ich tüftle genau wie Du an exakt den gleichen Problemen..
Romy hat ja die Collection ihres Abenteuers in Komoot eingestellt (https://www.komoot.de/collection/1263154/die-extragrosse-dolomiten-runde-ein-abenteuer-der-extraklasse) und unter Etappe „Was für ein Tag! Von der Sellagruppe zur Geisler-Puezgruppe“ sieht man das Dilemma: von der Piz Boe Hütte ist der Abstieg ins Mittagstal noch gesperrt, da die seilversicherte Stelle abgerutscht ist. Also ist sie über die Rifugio Pisciadu abgestiegen und hat die zwei „seilversichterten“ Stellen ins Tal mitgenommen. Auch deine Idee Richtung Kolfuschg führt über einen Klettersteig.
Was wäre die Alternative? Sie hätte vom Piz Boe Hütte noch über den Weg 638 zur Franz Kostner Hütte gehen können. Auch dort hätte eine heftige seilversicherte Stelle gewartet. Ich bin ein wenig verzweifelt wie ich mit dem Hund da wieder runterkommen soll…mein Hund ist schwerer als Romys Lotte.
Hast Du schon eine Lösung gefunden? Welchen Weg bist Du schlußendlich gegangen?
Ich denke über ein Notfall-Hundetragegeschirr von Fido Pro nach – muss dann aber alle Schlüsselstellen 2x laufen da ich nur Hund und Rucksack getrennt tragen kann..
Ich habe parallel die Tour aus der Zeitschrift Outdoor in Komoot reingepackt. Die läuft fast auf Romys Spuren. Kannst ja mal schauen (Feedback würde mich freuen 🙂
https://www.komoot.de/tour/1382793598
Liebe Grüße
Ede
Bin erst heute auf Romy´s WS gestossen.
Zu Deiner Frage oben: Warum nicht gleich den Alta Via Delle Dolomiti No.2 nehmen ? Der startet allerdings in Bressanone und endet in Feltre. Passo Gardena via Sella-Plateau zum Passo Pordoi. Fedaia-Stausee und hinauf auf die Punta Penia