Dolomiten: Latemar Überquerung mit Latemarspitze
Der Latemar soll das touristisch am wenigsten erschlossene Massiv der Südtiroler Dolomiten sein. Wenn man die Zahl der bewirtschafteten Hütten betrachtet, mag das stimmen. Touristen gibt es dennoch reichlich. Ich fand trotzdem Einsamkeit.
Anspruchsvolle Tageswanderung mit Gipfeloption
Natürlich muss man als passionierter Bergwanderer einmal im Leben im Latemar gewesen sein. Dieses kleine, sich wie ein Hufeisen um das Val Sorda schmiegende, Gebirge mit seinen zackigen Dolomitentürmen ist zwar nur ein paar Kilometer lang und breit, dafür aber erstaunlich vielseitig. Und wie könnte man die verschiedenen Seiten dieses Gebirgsstocks besser kennenlernen, als durch eine Überquerung? Die schaffen geübte Wanderer locker an einem Tag. Aber Vorsicht: Die Durchquerung des Mini-Massives ist nichts für schwache Nerven.
Latemar Überquerung: die Tour im Überblick
Dass mich dieser Latemar so beeindruckt hat, ist nicht selbstverständlich. Schließlich war ich bereits drei Wochen durch die Dolomiten gestreift und hatte dabei schon sechs andere Gebirgszüge überquert, darunter Sella, Rosengarten und Civetta. Diese Abschlusstour meines Trekking darf ich dennoch getrost als Grande Finale betiteln. Ich steifte anfangs noch durch grüne Hänge, die – typisch für diese Region – irgendwann von brüchigen Gestein, schlotterigen Wegen und zerklüfteten Landschaften abgelöst werden. Ich legte Strecke auf guten, wanderbaren Wegen zurück und mühte mich schließlich mit Händen und Füßen, um zum zweithöchsten Punkt des Massivs hinaufzusteigen. Vom Gipfelkreuz der Östlichen Latemarspitze bestaunte ich mit offenem Mund die Aussicht, zeigte mit dem Finger auf die Berge, die ich die letzten Tage bestiegen hatte und träumte von einem nie endenden Urlaub. Längst hatte sich bei mir dieses phänomenal gute Gefühl absoluter Zufriedenheit und Freiheit eingestellt.
Anforderungen: Neben einer guten Portion Ausdauer, die bei knapp 1000 Höhenmetern in schwierigen Gelände immer erforderlich sind, braucht es auch etwas Orientierungssinn bei dieser Wanderung. Sich beim Aufstieg zur Latemarspitze oder dem sich anschließenden Abstieg zu verfranzen, kann böse enden. Ich sah ein paar Wanderer, die sich verstiegen hatten und nur mit einer großen Portion Überwindung wieder auf den richtigen Pfad zu bringen waren. Außerdem ist dieser Teil nur zu meistern, wenn man absolut schwindelfrei ist. Es sind ein paar knifflige Kletterstellen dabei, die unerfahrene Wanderer durchaus zur Verzweiflung bringen.
Fakten zur Latemar Überquerung:
- Ausgangspunkt: Bergstation am Passo Feudo
- Endpunkt: Karersee
- Aufstieg: 920 m
- Abstieg: 1.430 m
- Länge: 14,5 km
- Dauer: 6:30 h
- höchster Punkt: Östliche Latemarspitze, 2.800 m
- Schwierigkeit: schwer
- Hundetauglichkeit: 0 von 5 Sterne
Mit Hund über den Latemar: Ich bin ja durchaus wagemutig und mache mit Hund viele ausgesprochen anspruchsvolle Touren. Für den Hund würde ich dennoch die Latemar-Durchquerung nicht empfehlen. Es gibt nämlich wirklich nur diesen einen wanderbaren Weg. Die Kletterstellen sind meist ungesichert, so dass man eigentlich genug damit beschäftigt ist, sich durch den Steig zu bringen. Ich war sehr froh, dass Lotte am Tag dieser Wanderung einen Ruhetag einlegt hat.
Höhenprofil Latemar Überquerung mit Latemarspitze:
Download: GPX Latemar-Durchquerung
So kommst du zum Ausgangsunkt zurück: Von Karersee zur Seilbahn in Predazzo kommt ihr bequem mit dem Bus. Dazu müsst ihr in Vigo di Fassa einmal umsteigen. Der Bus fährt in der Regel einmal in der Stunde und die Fahrt dauert etwa eineinhalb Stunden.
Start im Val di Fassa im Trentino
Meine Durchquerung beginnt im Val di Fassa mit einer Liftfahrt hinauf zur Bergstation am Passo Feudo (1) auf der Trentiner Seite des Latemar. Ich bin früh dran und komme noch vor vielen Anderen oben an, stelle aber schnell fest, dass hier trotzdem Einiges los ist. Ich hebe definitiv die Durchschnittsgeschwindigkeit der Wanderer hinauf zum Zwischenziel, dem Rifugio Torre di pisa. Das ist etwas Unglücklich, denn so überhole ich Wanderer für Wanderer. Nicht unbedingt das, was ich unter „touristisch wenig erschlossen“ verstehe. Aber die grüne Almlandschaft, das perfekte Wanderwetter und der stetige Aufstieg lassen mich das schnell übersehen.
Ich komme schließlich am Rifugio Torre di Pisa (2) mit dem guten Gefühl an, die erste Hälfte des Anstiegs ohne große Anstrengungen geschafft zu haben. Wie die meisten Gäste zieht es mich an Rifugio zum Aussichtspunkt, der einen perfekten Blick auf den Torre di Pisa, einen 20 Meter hohen Felsturm, der dem Rifugio seinen Namen gibt und an den berühmten Schiefen Turm von Pisa erinnert. Während die meisten Wanderer damit ihr Tagesziel erreicht haben, schlage ich nun erst einmal den felsigen Weg hinab ein.
Es wird nun etwas ruhiger auf den Wegen. Hier wandern nur noch Klettersteiggeher, die den höchsten Punkt des Latemars, den Diamantiditurm (Latemarturm) zum Ziel haben und einige wenige, die wie ich die Latemar-Überquerung wagen. Längst ist alles Grüne aus der Landschaft gewichen und es dominieren Felsen, Türme, Zacken und Steine. Hin und wieder lockert ein bunter Blumenfarbklecks diese bizarre Landschaft auf. Noch sind die Wege einfach und ich kann jeden einzelnen Schritt genießen und dabei alles um mich herum bestaunen. Ich lasse den Abzweig zum Bivacco Sief rechts liegen und schließlich zweigen die Klettersteiggeher links ab. Plötzlich bin ich ganz allein. Ich schwenke nach rechts auf ein schmales Felsband und umwandere südlich den Diamantiditurm. Es ist herrlich still hier. Und wunderschön.
Hinab zum Karersee in Südtirol
Schließlich erblicke ich einen orangenen Farbklecks, der das Bivacco Rigatti (3) markiert, das leicht windschief in einer Scharte steht. Hier kommen die Klettersteiggeher nach ihrem Gipfelerfolg an, aber noch habe ich dieses Plätzchen ganz für mich. Zeit für eine Pause. Und so sitze ich da, eingerahmt von den beiden höchsten Punkten des Massivs, dem Diamantiditurm und der Latemarspitze.
Doch ich lasse mich von einem umherirrenden anderen Wanderpaar aus der Ruhe bringen. Sie finden den Weg in Richtung Karersee nicht. Ich gehe vor und stelle erleichtert fest, nur der Einstieg ist etwas unscheinbar. Einmal den richtigen Pfad eingeschlagen, kann man ihn zunächst kaum mehr verfehlen. Das Gelände jedoch hat sich verändert. Der Steig ist wild, ausgesetzt und ich brauche meine Hände, um hohe Felsstufen zu meistern. Es sind kaum mehr als 200 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt, aber es dauert dennoch, bis ich schließlich an einem Abzweig ankomme. Höhehaltend geht es links zur Östlichen Latemarspitze (4), 2800 Meter.
Ich hole meine verpasste Pause nach und genieße hier den ohnehin schöneren Pausenplatz. Was für ein 360-Grad-Panorama, das ich fast für mich allein habe. Der Rosengarten liegt ausgebreitet vor mir, im Hintergrund steht imposant der Sellastock. Ich sehe den Karersee und den Speicher am Parkplatz, wo Wanderhund Lotte und meine Wanderbegleitung auf mich warten. Ich schicke eine Nachricht: „Ich sehe euch“… .
Der schwierigste Teil meiner Latemar Überquerung liegt aber noch vor mir. Nachdem ich rasch zur Kreuzung zurückgekehrt bin, geht es zwar nur sanft hinab, aber der Weg hat es in sich. Mit viel Gleichgewichtssinn balanciere ich auf den schmalen Felsbändern, rutsche auf meinem Hinterteil steile Felsen hinab und versuche immer nur dann weiterzugehen, wenn ich sicher bin, auf dem richtigen Weg zu sein. Die Sonne steht hoch und ich kann gar nicht ausmachen, ob es die Anspannung oder die heißen Sonnenstrahlen sind, die mir die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Ich brauche lange, um schließlich zur erlösenden Weggabelung zu kommen.
Beide Wegen führen zum Karerpass. Ich wähle den rechten Weg, um meine noch verbleibenden Abstiegshöhenmeter in Angriff zu nehmen. Der Weg ist nun nicht mehr ausgesetzt, aber durchaus steil und unwegsam. Aber ich erreiche schließlich rasch den Karerpass (5) und wandere ab hier parallel zur Straße gemütlich zum Parkplatz in Karersee (6). Wer mag, kann am Ende noch um ein Postkarten-Motiv reicher sein und dem smaragdgrünen Karersee einen Besuch abstatten.
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Mehr Inspiration für die Dolomiten
Ich habe während meiner 3-wöchigen Tour durch die Dolomiten die Wanderungen mit komoot getrackt und damit navigiert. Das hat zuverlässig funktioniert und Verlaufen ist damit nahezu ausgeschlossen.
Alle Touren mit GPS-Tracks, mehr Bilder sowie mein “Erlebnistagebuch” könnt ihr auf meinem Profil finden: Collection: Die extragroße Dolomiten-Runde – ein Abenteuer der Extraklasse! Dort findet ihr auch alle sieben Gebirgsstöcke, die wir ganz überquert haben: Rosengarten, Langkofelgruppe, Sella, Puez-Hochebene, Civetta, Bocchekamm und Latemar.