Civetta-Durchquerung in den Dolomiten
Kein Gebirgszug verkörpert die schroffe Seite der Dolomiten wie die Civetta. Sie ist ein Kollos aus Stein. Eine Durchquerung ist schweißtreibend und findet jenseits der Komfortzone statt. Anders gesagt: Die Civetta ist wunderschön.
Es sind nur noch dreihundert Höhenmeter bis zum erlösenden Pass. Aber es wird sich anfühlen wie ein ganzer Tagesmarsch. Meine Beine sind bleischwer von den 1000 Höhenmetern, die bereits in meinen Knochen stecken. Die vielen Kraxelpassagen durch meterbreite, tiefe Gräben, die Murenabgänge in den Pfaden hinterlassen haben, sorgten zudem für lahme Arme, weil ich meine 12-Jahre alte Hündin ein ums andere Mal die hohen Felsbrocken hinaufhievte. Das eben getrocknete Salz auf meiner Haut wird sich bei dem schweißtreibenden Anstieg erneut verflüssigen und ich werde immer wieder innehalten, um mir die beste Route durch diese unmarkierte Steinwüste zu suchen. Der Schutt wird so rutschig sein, dass ich einen Meter hinaufsteige und einen halben wieder hinab rutsche. Ich bin froh, als wir auch diesen Abschnitt der Civetta-Durchquerung gemeistert haben. Heilfroh. Und erschöpft. Aber ich würde es sofort wieder tun.
Die geneigten LeserInnen mögen denken, so schwer wird es kaum gewesen sein. Tatsächlich habe ich mir – nachdem diese Wanderung schon viel zu lang zurückliegt – diese Frage auch gestellt. Grundsätzlich ist es bei mir aber eher so, dass mir die schönen Seiten einer Wanderung immer sehr viel mehr im Gedächtnis bleiben. So verdränge ich im Rückblick beispielsweise grundsätzlich schlechtes Wetter, wenn es denn nicht mehrere Tage in Strömen gegossen hat. Weil mir aber auch das nicht ausreichte, habe ich mir die Steigungen noch mal angeschaut. Da finden sich wirklich Abschnitte mit bis zu 65 Prozent Steigungen. 65! Das entspricht einer typischen Dachneigung eines normalen Steildaches. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt schneckengleich unter 1 km/h. Ich brauche mit den lahmen Beinen wirklich eineinhalb Stunden für diese 300 Höhenmeter. Aber Moment, ich rutsche ja auch die halbe Strecke auf dem losen Geröll wieder zurück. Also sind es dann wohl doch 450 Höhenmeter… .
…dennoch wunderschön
Beim Bergwandern gilt die Regel: Je mehr es dich kostet, desto fantastischer wird sich die Aussicht anfühlen. Daher ist es kaum verwunderlich, dass ich nun genau dies von der Civetta behaupte. Umso besser, dass die Bilder das objektiv unterstreichen. Typisch für die Dolomiten, die den Beinamen „bleiche Berge“ tragen, sind die sattgrünen Flächen in tieferen Lagen, aus denen sich zackig und steil die hellen, mächtigen Felsen erheben. Zwischen den einzelnen Gebirgszügen erstrecken sich sanfte Tallandschaften. Dies von einem so mächtigen Gebirgszug wie die Civetta zu bestaunen, lässt die Herzen von BergsteigerInnen definitiv höherschlagen.
Während man selbst auf einem schmalen Pfad steht, ragt auf der Bergseite der Fels empor. Wer hinaufschaut, muss den Kopf ziemlich weit in den Nacken legen, um das Ende zu sehen. Auf der Talseite fällt die Civetta meist steil ab, eröffnet aber so auch oft Weitblicke über Täler hinüber zu den ebenso mächtigen benachbarten Bergen. Malerisch schön. Wer eine Bergtour durch die Civetta macht, wird die zerklüftete Landschaft noch einmal anders wahrnehmen. Im Prinzip könnte man hier aller 50 Meter innehalten, genießen und den Speicher seiner Kamera füttern. Mit Blick für das Detail gibt es in der steinigen Trümmerlandschaft oberhalb der grünen Wiesen immer wieder bunte Farbklekse kleiner pflanzlicher Überlebenskünstler zu entdecken. Es macht einfach Freude diese 6 Kilometer lange Gebirgsgruppe zu erkunden, auch ohne Besteigung des höchsten Punktes mit 3.220m.
Civetta Durchquerung: Tour im Überblick
Wir durchquerten die Civetta während unserer 3-wöchtigen Hüttentour durch die Dolomiten. Und auch, wenn wir mit der Überschreitung des Sella-Stocks schon eine sehr anstrengende Passage hinter uns hatten, so ist diese Bergtour durch die Civetta noch einen Zacken schärfer. Vom Passo Staulanza durchqueren wir den Gebirgszug im Osten und beenden unsere Etappe im Rifugio Vazzoler.
- Ausgangspunkt: Passo Staulanza
- Endpunkt: Rifugio Vazzoler
- Aufstieg: 1310 m
- Abstieg: 1420 m
- Länge: 18,9 km
- Dauer: 9-10:00 h
- höchster Punkt: Forcella de le Sasse 2.476 m
- Schwierigkeit: schwer
- Hundetauglichkeit: 1 von 5 Sterne
Wanderwege in der Civetta
Sonderlich bekannt ist die Civetta für ihre Wanderwege nicht. Vielmehr wird hier Skigefahren und im Sommer zieht es die Klettersteiggeher auf den hohen Dolomitengipfel. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es letztendlich auch nur zwei Wanderwege in der Civetta gibt, was auch dem bizarren Gelände geschuldet ist. Obwohl „Wanderweg“ nur auf die einigermaßen gemütliche Route im Westen zutrifft. Die zweite im Osten kann man zwar ohne bergsteigerische Hilfsmittel bezwingen, alpinistische Erfahrung und eine gute Portion Kraxelwillen sollten aber mit ins Gepäck.
2-Tagestour durch die Civetta
Wer landschaftliche Schönheit mit Genusswandern statt mit alpinistischen Schwierigkeiten verbinden will, geht westlich an der Civetta entlang. Hier warten zwischen schroffen Gestein der Coldai-See und die berühmte 1000 Meter hohe und 4 Kilometer lange, senkrechtabfallende Steilwand auf WanderInnen. Wir entscheiden uns allerdings nicht für den einfachen Weg westlich um die Civetta auf dem Dolomiten Höhenweg Nr. 1, sondern für die weniger begangene Möglichkeit im Osten. Diese führt höher und hautnah durch diese irre Gesteinswelt. Übrigens sind wir hier auch ganz allein, was wohl auf dem Dolomiten Höhenweg eher selten der Fall ist. Wer mag, kombiniert beide Routen zu einer 2-Tages-Umrundung der Civetta. Anregungen für die Westroute auf dem Dolomiten Höhenweg gibt’s bei den Bloggerkollegen von alsNuff: Dolomiten-Höhenweg Nr. 1 – Tag 6: Lustwandeln im Angesicht der Civetta – als nuff!
Mit Hund auf Wanderung
Dein Hund sollte für diese Bergtour definitiv eher zur Kategorie Bergziege gehören, damit ihr diese Tour schafft und daran auch Freude habt. Bis zum Rifugio Coldai überwiegen zwar gut zu gehende Pfade und Steige, danach warten aber immer wieder Drahtseil-versicherte Passagen, bei dem meine alte Hundedame eine gute Portion Unterstützung benötigte. Das alpine Bergsteigergeschirr, eine reißfeste Leine und auch Karabiner, um den Hund mal zwischenzusichern, wenn man selbst beide Hände braucht, sollten daher mit im Rucksack sein. Tipps zur Ausrüstung, Kommandos und Vertrauensbildung zwischen Hund und Mensch gibt’s in der Kategorie Wandern mit Hund.
Im späteren Wegverlauf haben zahlreiche Murenabgänge metertiefe Schneisen im Berg hinterlassen. Diese nicht versicherten Passagen stellen den Hund durchaus vor Probleme, so dass auch hier Hilfe notwendig werden kann. Weil auch bei Wanderhund Lotte mit zunehmender Dauer der Bergtour die Kräfte schwanden, habe ich sie zudem beim Schutthang kurz vor der Forcella de le Sasse ebenfalls mit der Leine unterstützt. So rutsche zumindest Lotte nicht auf dem bröseligen Gestein zurück. Auch wenn es meist noch Schneefelder auf der Tour gibt, Wasser sollte für den Hund einkalkuliert werden. Auch Pfotenschuhe einpacken, denn am schroffen, spitzen Gestein, können sich auch noch so robuste Hundepfoten verletzen.
Höhenprofil Bergtour Civetta
Download: Civetta-Durchquerung
Kartenmaterial: Marmolada, Pelmo, Civetta, Moiazza: Wanderkarte Tabacco 015. 1:25000: GPS (Werbelink)
Tourenbeschreibung: Durch die Civetta
Um diesen strammen Tagesmarsch vom Rifugio Staulanza (1) zu schaffen, starten wir schon kurz nach sechs. Zunächst liegen knapp 5 Kilometer ebene Strecke, die nur durch einen kurzen Anstieg unterbrochen wird, vor uns. Dann nimmt diese Wanderung langsam fahrt auf. An der Baita di Pioda zweigt der alte, zuweilen auch recht steile Bergwanderweg 556 ab. Er bringt uns in zahlreichen Serpentinen nach ober zum Rifugio Coldai (2). Hier müssen wir uns spätestens für die Ost- oder Westroute entscheiden. Das Panorama ist ab dem ersten Schritt herrlich. Der Ausblick bei den zwangsläufig erforderlichen kurzen Verschnaufpausen hinüber zu den Ampezzaner Dolomiten ist schlicht umwerfend.
Nach dem Rifugio Coldai gönnt uns der Weg im leichten Bergauf zumindest konditionell etwas Ruhe, landschaftlich bin ich durchaus überfordert, weil ich schlicht nicht weiß, wo ich zuerst hinblicken soll. In die Ferne? Auf den Boden? Dort hinauf oder da hinten diesen Grat, der in einer Zacke endet? Die zerklüftete Landschaft sorgt bei mir für viel Freude. Während der Dolomiten Höhenweg in wenigen Minuten zu schönen Lago Coldai führt, zweigt unserer Weiterweg nach links. Das Steiglein 557 wird uns nun viele Stunden begleiten. Wir folgen dem Pfad durch Steinwüsten auf drahtseilversicherten Anstiegen, über Schneefelder und zahlreichen weiteren kniffeligen Stellen. Der Weg ist später nicht sonderlich gut in Schuss, hier und da zerstört und die Wegfindung nicht immer einfach. Nach vier Stunden werden wir nicht einmal sechs Kilometer geschafft haben. Ohne Hund geht’s schneller.
Doch als wir schließlich den Abzweig zum Weg 558 (3) erreichen, ist dies keineswegs eine Erleichterung. Denn nun nimmt die technische Schwierigkeit in schuttigem Gelände noch zu. Ebenso wie die Steilheit. Es erfordert einiges an Durchhaltewillen mit der Forcella de le Sasse (4) den höchsten Punkt dieser Bergtour zu erreichen. Die weiteren sechs Kilometer beginnen mit einem kurzen Abstieg, führen dann recht höhehaltend durch eine nun wieder grüne, mit Edelweis und Steinen durchsetzte Hochebene, ehe schließlich tief unten das Val Corpassa in unser Sichtfeld kommt.
Das Tal liegt so tief und steil unter uns, es ist kaum vorstellbar, dass dort ein Wanderweg hinabführen soll. Es wird auch tatsächlich kein kniefreundlicher Abstieg auf einem kleinen, sehr steilen Pfad sein. Nach 650 kräftezehrenden Abstiegs-Höhenmetern erreichen wir endlich die Pian delle Taie (5), die erlösende Ebene (ital. = pian). Zeitgleich treffen wir auf den geschotterten Fahrweg zum Rifugio, dem wir nun bis zum Rifugio Vazzoler (6) nur noch ein paar Höhenmeter hinauf folgen müssen.
Wir sind erschöpft, beim Abendessen verfluchen wir die Civetta, bestaunen sie zugleich und sind stolz auf unsere Leistung und die von Wanderhund Lotte.
Kommentar zu “Civetta-Durchquerung in den Dolomiten”
Hallo Romy,
Danke für die schönen Beschreibungen. Das weckt Lust aufs Wandern. Gerade die Dolomiten-Höhenwege stehen auf meinem Wunschzettel. Und im Maggia-Tal war ich auch einst, deine Anregung nehme ich gerne mit