Bernina Tour – eine unvergessliche Hüttentour
In 8 Tagen um den Piz Bernina*
Ein Trekking in den Alpen ist ja grundsätzlich ein Erlebnis. Unvergesslich wird es aber für mich, wenn ich etwas Besonderes erlebe, ich außergewöhnlich gefordert werde oder einfach stille Momente in wilder Alpennatur genießen kann. In dieser Hinsicht war die Bernina Tour ein absoluter Volltreffer. Ich sah Steinböcke mit Nachwuchs, ein Steinadler flog dicht an mir vorbei und ich bestieg drei 3000er-Gipfel – einer aussichtsreicher als der nächste. Meine zweite Etappe ließ mich kämpfen und auf der letzten Rille am Rifugio ankommen. Ich erinnere mich an unendliche Weite und Stille, als ich am Morgen des 4. Tages den Sonnenaufgang über dem Val Poschiavo beobachtete. Ich kam den mächtigen, meterdicken Gletschern der Bernina-Gruppe so nah, dass ich deren Kälte fast spüren konnte und jeden Tag bewachte ein anderer Bergriese still meine Reise. Kurzum: Wer das Außergewöhnliche sucht, für den ist die Bernina Tour genau das Richtige.
Die Bernina Tour – nicht zu verwechseln mit dem Bernina Trek! – führt offiziell in 9 Etappen als Rundtour um die Bernina-Gruppe, in deren Zentrum der Piz Bernina thront. Der weit über die Grenzen der Schweiz bekannte Berg ist mit seinen 4049m nicht nur der höchste Punkt Graubündens, sondern der ganzen Ostalpen. Als einziger 4000er nimmt er eine Sonderstellung ein und übt daher eine besondere Anziehungskraft aus. Um das Bergmassiv zu umrunden – das übrigens auch noch einige andere formschöne Fast-4000er-Gipfel zu bieten hat – wandert man im Süden durch die italienische Lombardei und im Norden durch das schweizerische Graubünden. Was davon schöner ist? Im italienischen Valmalenco ist es wilder und unberührter, im Engadin komme ich den großen Bergen mit den dicken Gletschern so nah wie noch nie zuvor. Wie könnte ich mich da entscheiden?
1. Überblick zum Trekking
2. Wandern mit Hund
3. Etappen & Highlights
4. Anreise & Planungshilfen
5. Übernachtungen auf der Bernina Tour
Überblick zum Trekking
Meine persönliche Bernina-Reise beginne ich in der Schweiz, wandere dann nach Bella Italia im Süden und tausche nach dreitägigem Aufenthalt das „Buon giorno!“ wieder gegen das „Grüezi!“ ein. Dafür brauche ich 8, anstatt der offiziellen 9 Tage und wandele den italienischen Teil der Tour ein wenig ab. In der Schweiz wiederum erweitere ich meine Tour um zwei Gipfelabstecher zum Sas Queder (3066m) und Piz Languard (3263m). Ich bekomme von den Aussichten und der Höhe einfach nicht genug!
Für die Mehrtagestour um das Bernina-Massiv benötigt man natürlich Kondition. Fast jeden Tag (auch im Original-Routenverlauf) gilt es 1000 Höhenmeter oder mehr aufzusteigen. Auch Trittsicherheit sowie eine moderate Schwindelfreiheit sind nötig. Meiner – unverbindlichen – Einschätzung nach sollten aber Wanderer, die nun nicht gerade unter extremer Höhenangst leiden, die Tour zumindest im originalen Routenverlauf durchaus meistern können. Die schwierigsten Abschnitte hatte ich letztendlich bei den eingebauten Varianten (Etappe 2: Auf- und Abstieg zur Forcella d’Entova sowie der Abstecher zum Piz Languard, Etappe 6). Darüber hinaus fallen mir keine besonders ausgesetzten Wegabschnitte ein.
- Beste Reisezeit: Mitte Juni bis Mitte Oktober
- Schwierigkeit: Mittel (T1-T3)
- Übernachtungen: Hütten und Hotels
- Dauer: 8-9 Tage
Etappenübersicht
Ausgangspunkt | Endpunkt | Strecke | Aufstieg | Abstieg | Dauer | |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | Maloja | Chiareggio | 15.1km | 800m | 960m | 5:30 |
2 | Chiareggio | Rifugio Musella | 19.6km | 1420m | 1010m | 8:00 |
3 | Rifugio Musella | Bivacco Rusconi | 12.4km | 870m | 270m | 4:00 |
4 | Bivacco Rusconi | Ospizio Bernina | 18.6km | 700m | 1060m | 5:00 |
5 | Ospizio Bernina | Diavolezza | 12.8km | 1050m | 340m | 4:30 |
6 | Diavolezza | Pontresina | 12.2km | 1200m | 890m | 4:45 |
7 | Pontresina | Surlej | 13.4km | 1000m | 120m | 4:00 |
8 | Surlej | Maloja | 15.5km | 70m | 970m | 3:30 |
Gesamt | 120km | 7100m | 5600m | 39:00 |
Wegverlauf
Mit einigen kleinen Abstechern im schweizerischen Teil und etwas größeren im italienischen.
Download: GPX Bernina-Tour_meine Route
Download: GPX Bernina-Tour_Originaler Routenverlauf
Die GPX-Tracks der einzelnen Tagesetappen gibt’s auf meinem Komoot-Profil: Collection Bernina Tour
Wandern mit Hund
Ja! Es geht! Der Hund darf mit auf die Bernina-Tour. Es wäre sonst auch für jeden Hundefreund nur halb so schön, denn sowohl in der Schweiz als auch in Italien sind die Menschen ausgesprochen hundefreundlich. Nahezu jedes Gespräch dreht sich um meine 11-jährige Diva. Ob das ein Münsterländer sei? Oder ob man den Hund mit dem Geschirr auch abseilen könnte? Ob der Hund wohl bei Verschnaufpausen weniger jammern würde, wenn er mein Gepäck tragen würde? – so lief es in der Schweiz. „Bellissima, Oh, Bellissima“ schallte es hingegen in Italien, wenn wir anderen Wanderern begegneten – sie haben ja recht!
Und sonst? Für uns herausragend waren die unzähligen über die ganze Tour verteilten Wasserstellen. Fast überall finden sich wilde Bäche, kleine und große Seen, in denen der Hund saufen und sich erfrischen kann. Das spart nicht nur Gepäck, sondern ist gerade an heißen Tagen ein Segen. Keiner der Wege stellte meine Hunde-Seniorin technisch vor eine Herausforderung. Mit ein bisschen Bergerfahrung sollte die Bernina Tour daher problemlos mit Hund zu begehen sein. Hundefreundliche Unterkünfte gibt es genug, auch wenn man gerade in der Schweiz etwas für die Übernachtung bezahlen muss. Aber das Erlebnis und die Tatsache, dass die Fellnase auf dieser außergewöhnlichen Reise mitdarf, wiegen das locker auf.
Etappen & Highlights
Wenn man auf der Bernina Tour unterwegs ist, fängt man zwangsläufig irgendwann an, in Superlativen zu denken: Den dicksten Gletscher, die schönste Aussicht, das niedlichste Bergdorf, den schönsten Sonnenaufgang – ich könnte die Liste ewig fortsetzen. Eines aber muss ich noch erwähnen. Für ein 8-tägiges Trekking im September habe ich mit Abstand das schönste Wanderwetter erwischt. Denn nach 8 Tagen stellte ich fest, dass ich meine Regensachen ganz umsonst durch Italien und die Schweiz getragen habe. Es gibt durchaus schlimmere Erkenntnisse.
Etappe 1 – Von Maloja nach Chiareggio
Meinen Van stelle ich auf dem kostenfreien Wanderparkplatz (1) zwischen Maloja und dem Maloja-Pass ab. Frisches, klares Wetter schlägt mir entgegen als ich meine Wanderschuhe freudig auf den Weg setze und mein Blick über neblig, dunstige Almlandschaften schweift. Die ersten Meter irre ich noch ein wenig herum, ehe ich am ersten glasklaren Gebirgssee meine Route finde. Einmal rechtsherum, beim nächsten See, dem Lägh de Cavloc (2), links herum. Eigentlich würde ich gern die erste Pause einlegen. Viel zu schön anzuschauen ist die Spiegelung der Berggipfel im See, an dessen anderem Ufer schon die Sonne für leuchtende Farbspiele sorgt. Aber die Bernina Tour beginnt auf den ersten 5 Kilometern dankbarerweise sanft, ohne nennenswerte Steigung und eine Pause käme zu früh.
An der Alpe Cavloc – hier räkeln sich übrigens auf der Wiese genüsslich drei dicke Schweine mit rosa Popo in der Sonne – zeichnet sich mein Weg deutlich ab. Der Taleinschnitt führt mich unverlaufbar Richtung Süden. Einer Weggabelung folge ich links und mache mich auf alten Schmugglerwegen an die letzten drei Kilometer, die mich noch von Italien trennen. Zunächst steil, dann wieder etwas gemäßigter, steige ich immer höher, bis ich den steilen Schlussanstieg zum Murettopass/Passo del Muretto (3), 2562m, schnaufend meistere. Der Pass markiert die Grenze zwischen Italien und der Schweiz, zwischen Graubünden und der Lombardei, zwischen EU und Nicht-EU. Wie bei jedem Grenzpass bin ich geneigt, am Grenzstein fröhlich hin- und herzuhüpfen: Italien, Schweiz, Italien, Schweiz,… . So handele ich mir den ersten skeptischen Blick meiner Hündin Lotte auf dieser Wanderung ein.
Die Berge wirken groß und die Täler weit. Möglicherweise habe ich ein Dauergrinsen im Gesicht. Den Aufstieg habe ich nun geschafft und wir machen uns an den fast gleichlangen Abstieg. Lotte stiefelt fröhlich vorweg. Kaum fünf Minuten von der Grenze entfernt, schmettert mir ein erstes herzliches „Buon giorno“ entgegen. Ein weiteres folgt, dann bin ich wieder ganz allein unterwegs. Währenddessen verliebe ich mich übrigens in den ersten Berg: den Monte Disgrazia. Der formschöne, 3678m-hohe Berg ist der Wächter dieser Etappe.
Der Weg bis zu meinem Ziel Chiareggio (4) ist nicht zu verfehlen, ich muss nur dem natürlichen Wegverlauf des Tals folgen. Das ist Genusswandern, bis ich auf eine Schar Kühe mit Nachwuchs treffe, die lässig und völlig unbeeindruckt mitten auf dem Weg liegen. Ich bin geneigt, einfach hindurchzustiefeln, entscheide mich aber sicherheitshalber doch für eine Umgehung etwas unterhalb vom Weg. Einige der absolut ruhigen Kühe schauen sich meine Kletterversuche inklusive Fluchen und Stolpern neugierig von oben an. Ich habe Sprechblasen über ihren Köpfen gesehen! Da stand: „Ey, diese Wanderer werden auch immer bekloppter.“ In einer anderen: „Nun schau dir diese Irre mit dem süßen Hund an.“ Was die anderen noch gesagt haben, erzähle ich besser nicht… .
Etappe 2 – Von Chiareggio zum Rifugio Musella
Als ich am nächsten Tag Chiareggio (1) bei noch tiefstehender Sonne verlasse, bin ich ganz sicher im schönsten Bergdorf der Lombardei. Ein guter Start in einen Tag voller Gegensätze. Denn ich hatte unglaublich schlecht geschlafen, es war sehr heiß und ich fühlte mich nicht fit für eine solch anstrengende Tour in der Höhe. Aber ich wanderte mit Pausen tapfer die ersten 900 Höhenmeter bis zum Rifugio Longoni (2). Geholfen haben mir diese unberührten, traumhaften Landschaften. Vergletscherte Berge, unvergessliche Aussichten und eine Hochebene (Piani di Fora) mit so vielen Wasserfällen, dass ich aufgehört habe, sie zu zählen.
Am liebsten wäre ich im Rifugio geblieben, so lecker war das Essen, so freundlich die Hüttenwirte, so toll die Lage. Aber dann ging’s bergab – mit mir und dem Weg. Die 100 Höhenmeter hinab waren anspruchsvoll und kosteten Kräfte. An einer Weggabelung lagen noch 400 Höhenmeter im Aufstieg und 800 im Abstieg vor mir. Zwei Wege führten zum Ziel, einmal lag der Aufstieg direkt vor mir, einmal am Ende der Tagesetappe. Nach langem Ringen, entschied ich mich schließlich für die erste Variante, um den Aufstieg wegzuhaben. Ich schaffte die nächsten 300 Höhenmeter noch recht gut, war aber beim Schlussanstieg zur Forcella d’Entova (3), 2833 m, nahe am Kollaps.
Die letzten 100 Höhenmeter entpuppten sich als anstrengende Blockwerkkletterei. Eigentlich helfe ich bei solchen Wegen meiner Lotte, die nicht mehr so beweglich ist, bei hohen Stufen. Aber ich war so müde, so kaputt, dass ich es dieses Mal vermied, die 20 Hundekilo über die Stufen zu hieven. Lotte aber zeigte wieder einmal, was sie ausmacht: kämpfen und sich durchbeißen. Sie erreichte die Scharte vor mir. Als sie hinabblickte, hatte sich doch tatsächlich Mitleid in ihren skeptischen Blick geschlichen. Aber wie so oft war der Kampf alle Mühen wert. Direkt an der Scharte sah ich zwei Steinbock-Damen, jede zwei niedliche Jungtiere an der Seite.
Übrigens wechselten sich auch im Abstieg meine Begeisterung mit meiner Müdigkeit fröhlich ab. „Ich schaff das nicht“ und „Boah, ist das schön hier“ in Endlosschleife. Denn auch auf meinem Abstieg zum Rifugio Musella hatte ich mit Blockwerk, kurzen Gegenanstiegen und meiner Kondition zu kämpfen. Lotte hingegen schien das alles nichts auszumachen. Übrigens sah ich an diesem Tag das erste Mal auch den Piz Bernina. Nach langem Kampf (weitere Details erspar ich euch) erreichte ich gegen 19:00 das Rifugio Musella (4).
Etappe 3 – Vom Rifugio Musella zum Bivacco Rusconi
Mit dem guten Gefühl zu wissen, dass ab jetzt alles leichter wird, mache ich mich vom Rifugio Musella (1) auf den Weg. Vorsorglich hatte ich am Vorabend diese dritte Etappe noch umgeplant und um einige Höhenmeter gekürzt. Schon auf den vergangenen Etappen waren mir in den tieferen Lagen die ausgedehnten Lärchenwälder aufgefallen. Heute kann ich sie richtig genießen. Zumal ich während der ersten sechseinhalb Kilometer nahezu höhehaltend mich sozusagen beim Laufen regeneriere. Nicht mal ein kleiner Umweg, weil ich aufgrund einer Sperrung nicht über die Staumauer des Bacino di Campo Moro (2) komme, macht mir etwas aus.
Auf richtig feinen Wanderwegen gelange ich zum nächsten Stausee, dem Bacino di Alpe Gera (3) und an dessen Westufer weiter zur Alpe Gembré (4). Die Alm wirkt wie aus dem Bilderbuch, so unglaublich schön, dass ich bei meiner extralangen Pause davon träume, hier einen Sommer zu verbringen. Und zu allem Überfluss fliegt auch noch ein Adler vorbei – im Hintergrund dicke Gletscher und riesige Berge. Im Rücken pfeifen aufgeweckte Murmeltiere. Unfassbar wild und schön.
Ich bleibe lange, bis ich mich schließlich an den letzten 400-Höhenmeter-Anstieg mache. Der Piz Zupo, Leitberg dieser Etappe, prangt mit 3996m hinter mir. Ganz einsam wandere ich zum nächsten Grenzpass, dem Pass da Confinal, der erneut die Grenze zwischen Italien und der Schweiz markiert. Ich schlafe direkt daneben im Bivacco Anghileri Rusconi (5) auf 2654m. Der originale Routenverlauf der Bernina Tour sieht vom Bacino di Campo Moro (2) kommend einen anderen Wegverlauf vor, der bis nach Poschiavo führt und wo man auch im Hotel nächtigen kann.
Im Biwak blieb ich übrigens nicht allein. Es gesellten sich noch zwei freundliche Italiener zu mir, aber das war nicht schlimm. Im Gegenteil, sonst wäre ich um eine lustige Anekdote ärmer: Am Morgen wache ich auf und Lotte ist weg! In so einem Biwak ist ja nun nicht unendlich viel Platz. Halb panisch finde ich die alte Dame im Bett eines fremden Mannes! Eng aneinander gekuschelt schläft Lotte neben Fabio (übrigens gute Wahl!). Ihn hat’s nicht gestört, ihm wäre nämlich kalt gewesen und so hätte er sich wärmen können. Während ich peinlich berührt bin, schaut Lotte mich so gar nicht skeptisch, sondern irgendwie sehr zufrieden an. Ich bin fassungslos.
Etappe 4 – Vom Bivacco Rusconi zum Ospizio Bernina
Mit einem „buona giornata“ verabschiede ich mich, nachdem ich lange den Sonnenaufgang über dem Val Poschiavo genossen habe, von den beiden Jungs. Der Weg vom Bivacco Anghileri Rusconi (1) führt mich einsam vor einer atemberaubenden Bergkulisse wieder auf Schweizer Boden. Ich kann mein Glück kaum fassen. Es ist so still hier, so wunderschön. Bis ich die ersten Zeichen der Zivilisation sehe, eine kleine Alm namens Somdoss (2), vergehen zwei Stunden.
Hier weiß ich gar nicht wohin ich zuerst schauen soll. Die bildschönen Kühe (hinter Zaun) mustern mich neugierig, eine Herde Ponys mit niedlichem Fohlen fängt meinen Blick ein und zu meinen Füßen liegt die Ortschaft Poschiavo, dahinter ein riesiger See. Ach, hier könnte ich auch einen Sommer verbringen. Der alte Herr auf der Alm scheint sich zu freuen, mich zu sehen. Ich winke ihm fröhlich zu, ehe ich erst weiter bis Cavaglia (3) ab- und später bis zur Alpe Grüm (4) aufsteige.
Hier mache ich Bekanntschaft mit dem nächsten beeindruckenden Fast-4000er, dem 3900m-hohen Piz Palü, dessen Gletscher in der Sonne glitzert. Nur noch ein paar Höhenmeter, dann erreiche ich den Lago Bianco (5). Der riesige Stausee am Berninapass beeindruckt mit seiner Größe, dem klaren Wasser und einer hochalpinen Landschaft. Übrigens: Das Val Poschiavo liegt zwar in der Schweiz, ist aber italienischsprachiges Gebiet. Graubünden ist nämlich der einzige Kanton der Schweiz, der neben Deutsch und Rätoromanisch auch Italienisch als Amtssprache benannt hat. Am Westufer entlang erreiche ich das Ziel meines Tages, das Ospizio Bernina (6).
Etappe 5 – Vom Ospizio Bernina zur Diavolezza
Wer meint, ein Trekking kann schlecht jeden Tag auf’s neue überraschen und begeistern, der täuscht. In der Schweiz mag die Bernina Tour vielleicht nicht ganz so wild sein, aber sie offenbart eine Welt, die eigentlich Alpinisten vorbehalten bleibt. Die Welt der meterhohen, gewaltigen Gletscher. Aber von Anfang an: Als ich vom Ospizio Bernina (1) an diesem Tag aufbreche, wärmt mich trotz einstelliger Temperaturen eine Spätsommersonne, die gleichzeitig den Lago Bianco in ein weiches Licht hüllt. Am Ende des Stausees verlassen wir die Zivilisation und steigen Höhenmeter für Höhenmeter hinauf – weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen.
Je höher wir kommen, desto karger, schroffer und faszinierender wird die Landschaft. Am Lej da Diavolezza (2) werfe ich einen Blick zurück. Wie weit entfernt der Lago Bianco schon ist! Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie schnell man zu Fuß vorankommt! Etwas anspruchsvoller geht es durch die hochalpine Landschaft bis zum Kamm, auf dem der Berggasthof Diavolezza steht. Wow. Ich muss mich zwingen, der Aussicht den Rücken zu kehren, um meinen ersten 3000er an diesem Tag zu besteigen.
Nur wenige Höhenmeter geht’s hinauf zum Sas Queder (3), 3066m. Dieses Gefühl auf über 3000 Metern Aug in Aug mit den riesigen Gletschern von Piz Palü (3905m), Bellavista (3922m) und Piz Bernina (4049m) zu stehen, ist einfach unbeschreiblich. Ich sitze lange, sehr sehr lange hier oben. Diese Eiswet fasziniert mich, weckt in mir die Sehnsucht darauf zu laufen und es macht mich sehr zufrieden, hier zu sein. Was für eine Kulisse! Gefühlt eine Ewigkeit später steige ich wieder hinab zur Diavolezza (4). Berauscht lege ich im Zimmer kurz meine Beine hoch und verarbeite die Eindrücke. Etwas weiter weg steht aber noch der Munt Pers (3206m). Ich kann nicht anders, ich muss dorthin.
Mit dem größten Selbstbewusstsein, das ich habe, ignoriere ich Lottes missbilligenden Blick. Während ich mich auf den Weg mache, bleibt Madame 50 Meter hinter der Hütte stehen. Im Rücken spüre ich das eisige „Warum?“ Sie versteht es nicht. Mit eingezogenem Kopf laufe ich weiter und versuche, die Blicke bestmöglich zu ignorieren. Ist das noch ein Hund oder womöglich schon ein Tyrann? Nach etwa einem halben Kilometer höre ich hinter mir das Klackern der Krallen auf den Felsen. Sie überholt mich, würdigt mich keines Blickes und läuft automatisch in Richtung Gipfel des Munt Pers (5). Die atemberaubende Sicht in diese Gletscherwelt, insbesondere auf den etwa 6,4 Kilometer langen Morteratschgletscher, machen mich sprachlos. Auf dem Rückweg zur Diavolezza (6) hechte ich schnaufend meinem kleinen Tyrannen hinterher.
Etappe 6 – Von der Diavolezza nach Pontresina
Ich bin erleichtert, als ich am Morgen feststelle, dass meine wortlose Auseinandersetzung mit Lotte keine nachhaltigen Spuren hinterlassen hat. Mit der Seilbahn geht es hinab bis zur Talstation Diavolezza (1), von der es ins beschauliche Val da Fain geht. Um dann das Hochtal Val Languard zu erreichen, müssen die ersten 700 Höhenmeter auf kleinen, steilen Pfaden Kehre für Kehre bewältigt werden. Ab der Fuorcla Pischa (2) wandern wir recht eben durch die Hochebene und wirken in dieser Wüste aus Steinen und Geröll klein wie Ameisen.
Rechts von mir befindet sich der Piz Languard, den ich mir als nächstes vornehme. Der Aufstieg zum 3263m-hohen Berg wird mit jedem der zusätzlichen 400 Höhenmeter steiler und unwegsamer. Etwa 50 Höhenmeter vor dem Gipfel erreiche ich die an diesem Tag leider geschlossene Chamanna Georgy (3), bei der ich meinen schweren Rucksack deponiere. Und dann sind auch die letzten Meter geschafft und ich stehe auf dem Gipfel des Piz Languard (4). Das Wetter war zwar heute nicht so phänomenal gut, aber die Sicht reicht trotzdem bis zur Wildspitze.
Beim Abstieg schaut mich Lotte fragend an. Ihr Blick wandert von mir zur Chamanna Georgy und fragend wieder zurück. Die anderen Wanderer ignorierend, erkläre ich ihr geduldig, dass die Hütte geschlossen hat und wir weitermüssen. Es dauert einen Moment, bis sie mir schließlich folgt. Ich atme erleichtert auf. Mir kommt der Gedanke, ich könnte womöglich meinen Hund vermenschlichen?! Egal. Der anschließende recht einfache Abstieg wird uns versüßt durch viele Murmeltier-Sichtungen. Teilweise springen die niedlichen Nagetiere sogar direkt auf dem Weg herum. Die letzten 500 Höhenmeter – ich konnte einfach nicht widerstehen – lege ich per Sessellift bis Prontresina (5) zurück.
Etappe 7 – Von Pontresina nach Surlej
Für ein letztes Mal werde ich heute auf der Bernina Tour nah an den Gletschern der Bernina Gruppe vorbeikommen. Von Prontresina (1) startet diese Etappe aber erst mal gemächlich mit einem 7km-langen, sehr einfachen Weg durch das Val Roseg. Mein treuer Bergbegleiter an diesem Tag ist der gleichnamige Piz Roseg, 3.937m, der mächtig am Ende des Talschlusses wacht. Die noch immer satt grünen Lärchen säumen den Weg bis zur kleinen Ansiedlung Roseg (2).
Ich kann mich gar nicht entscheiden, ob der blassblaue Gletscherfluss hier im Tal oder von etwas oberhalb betrachtet beeindruckender ist. Von oben sehe ich die zahlreichen geschwungenen Kehren und die feinen Verästelungen, mit denen sich der Fluss ausweitet. Je näher ich meinem Ziel, der Fuorcla Surlej, komme, desto mächtiger wirkt auch der Piz Roseg. An seiner Seite steht sein großer Bruder, der Piz Bernina, den ich nun ein letztes Mal auf der Bernina Tour bewundern darf. Nach einem kräftezehrenden 1000-Höhenmeter-Aufstieg erreiche ich schließlich die Fuorcla Surlej (3).
Nach einer Pause, bei der ich den freien Blick auf den Piz Roseg in mich aufnehme, mache ich mich an den Weg zur Mittelstation Murtèl der Corvatsch-Bahn. Ich hatte mir zwar die Option offengehalten, zu Fuß mein Ziel Surlej (4) zu erreichen, aber es ist sehr heiß an diesem Tag und Lotte wirkt müde.
Etappe 8 – Von Surlej nach Maloja
Die Bahn bringt mich am nächsten Morgen von Surlej (1) zuverlässig wieder nach oben. Vor mir liegt eine besonders schöne letzte Etappe auf der Bernina Tour. Sie ist zwar viel flacher als jede bisherige, aber die Farbenpracht, die von grünen Lärchen, blauen Bergseen und sich langsam bunten färbender Vegetation ausgeht, empfinde ich nach den alpinen Wanderungen wie eine Farbexplosion. Sie beginnt schon wenige Meter nach meinem Start, als sich vor mir die Oberengadiner Seenplatte ausbreitet. Zuckerwatte-Wolken wabern gemächlich durch mein Bild. Nach fünf Minuten bin ich schon hin und weg.
Ohne Anstrengung laufe ich auf einem schönen Höhenweg leicht bergab. Ich bleibe oft stehen, fotografiere, genieße – und handele mir nervtötendes Gejammer meiner Lotte ein. Stehenbleiben mag sie einfach nicht. Während ich dem Silvaplanersee mittlerweile den Rücken kehre, offenbart sich mir der nächste, beeindruckende See, der Silsersee. An dessen Ufer stehe ich nachdem ich Sils (2) passiert habe. Nun heißt es: Auslaufen auf flachen Wegen.
Karibisches Blau und winzige Inseln werden von irgendwie sanft erscheinenden Bergen eingerahmt – ein Panorama schöner als das andere. Aufgrund einer Wegsperrung, die Bernina Tour verläuft normalerweise am Nordufer, laufe ich im Süden am See entlang und bekomme feine Aussichten geboten. Eine lange Pause am Ufer ist obligatorisch. Auf meinem letzten Teilabschnitt nach Maloja wandere ich wieder durch alte, gewachsene Lärchenwälder. Nach dreieinhalb Stunden bin ich schließlich mit vielen unvergesslichen Erinnerungen wieder da, wo ich vor 8 Tagen meine Wanderung begonnen habe, in Maloja (3).
Anreise & Planungshilfen Bernina Tour
Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist immer eine gute Idee, vor allem, wenn der Nahverkehr so gut ausgebaut ist wie in der Schweiz. Du erreichst den Start der 1. Etappe, indem du mit dem Zug bis St. Moritz und weiter mit dem Bus nach Maloja fährst. Wenn du an anderer Stelle in die Bernina Tour einsteigen willst, erreichst du Poschiavo (Start Etappe 4), Ospizio Bernina (Start Etappe 5), Bernina Diavolezza (Start Etappe 6) und Pontresina (Start Etappe 7) sogar direkt mit dem erlebnisreichen Bernina Express der Rhätische Bahn.
Karten
Einen Wanderführer zur Tour gibt es nicht. Zur Tourenpanung und für unterwegs hatte ich zwei Wanderkarten dabei. Die Topographische Karte Valmalenco 1:25000 für den italienischen Teil war ausgesprochen übersichtlich und auch für meine Wege korrekt. Die zweite, die den Schweizer Teil abdeckte, fand ich ein wenig gewöhnungsbedürftig. Hier hatte ich Mühe, die Wege von den Höhenlinien zu unterscheiden. Aber die 2521 St. Moritz – Bernina: 1:25 000 Karte war korrekt und darauf kommt es ja letztendlich an. Ein kleiner Teil der Bernina Tour im Osten und im Westen ist mit den Karten allerdings nicht abgedeckt.
Markierung
Die Bernina Tour ist derzeit noch nicht markiert. Im Schweizer Teil soll dies im Sommer 2021 erfolgen. Dann wird ein gelber Wegweiser mit weiss-rot-weisser Spitze und der Nummer 53 den Weg weisen. Langfristig soll dies vielleicht auch auf dem italienischen Teil erfolgen. Grundsätzlich aber gilt für die ganze Tour: Die Markierungen zwischen den Wegpunkten (im Text fett und mit Zahl in Klammern) sind gut, so dass man auch derzeit den Weg gut findet. Eine Navigationsapp wie komoot macht aber auf jeden Fall Sinn.
Werbung
Für den schweizerischen Teil von Poschiavo bis Maloja kann man die Reiseplanung auch vertrauensvoll in die Hände von Eurotrek geben. Die mehrtägige Wanderung inklusive Gepäcktransport, Übernachtungen, Seilbahnfahrten laut Programm, Reiseunterlagen und Service-Hotline wird dann dort organisiert. Auch Hunde sind auf Anfrage möglich. Zur Euotrek-Tour
Übernachtungen auf der Bernina Tour
So abwechslungsreich die Bernina Tour war, so abwechslungsreich gestalteten sich auch meine Unterkünfte. Von der Übernachtung im Bivacco Anghileri Rusconi – etwas für die, die ganz spartanisch übernachten wollen – über die einfache Berghütte und der soliden Pension bis hin zum 4-Sterne-Hotel war bei mir alles dabei.
Hotel Schweizerhaus
Hier knarren noch die Dielen! Wunderschönes Hotel mit traditionellem Charme und ausgesprochen freundlichem Personal. Zum Hotel Schweizerhaus
Hotel Gembro
Hotel für Sportler mit leckerer italienischer Küche in absolut traumhafter Lage! Das Tiramisu ein Traum! Zum Hotel Gembro
Rifugio Alpe Musella
Ein sehr einfaches Rifugio mit hundevernarrten Hüttenwirten. Sehr günstig und die Duschen sind auch warm. Buchungen am besten per Email unter: daniele.mitta@libero.it
Bivacco Anghileri Rusconi
Sehr gepflegtes Biwak, sogar Desinfektionsmittel war vorhanden. Neun Schlafplätze, Sitz- und Kochgelegenheit mit Gas, Decken und Wasser in der Nähe. Wer eine bewirtschaftete Unterkunft bevorzugt, findet diese in Poschiavo.
Ospizio Bernina
Ein bisschen merkwürdig ist es schon, am „Bahnhof“ zu schlafen. Nachts aber sehr ruhig und dass Essen hat auch geschmeckt! Buchungen am besten unter ospizio.bernina@bluewin.ch oder +41 (0)81 844 03 07
Berghaus Diavolezza
Gehobene Berghütte, die oft gut besucht wird. Essen reichlich und gut. Der Ausblick beim Essen auf die Bergwelt ist unvergesslich schön. Zum Berghaus Diavolezza
Hotel Saratz
Nobles 4-Sterne-Hotel mit fantastischem Service und einem Blick vom Zimmer über das Val Roseg. Für meinen Geschmack für Wanderer etwas zu fein. Zum Hotel Saratz
Hotel Chesa Surlej
Perfektes Hotel mit Zimmern zum Wohlfühlen und sehr freundlichem Personal. Im angrenzenden Restaurant kann man gut zu Abend essen. Decke und Napf standen für Lotte bereit. Zum Hotel Chesa Surlej
*Offenlegung: Dieser Bericht ist in Zusammenarbeit mit der Tourismusorganisation Engadin St. Moritz entstanden. Meine Meinung, Ansichten und Tipps bleiben davon unbeeinflusst, der Tourismusverband hat keinerlei Vorgaben zur Berichterstattung gemacht.
13 Kommentare zu “Bernina Tour – eine unvergessliche Hüttentour”
Hi Romy,
vielen Dank für deine ausführliche Routen- und Wandererlebnisbeschreibung! Du hast mich inspiriert für diesen Sommer – Daumen gedrückt, dass das Pandemietechnisch möglich ist 🙂
Eine Frage hätte ich: weißt du, ob man das Bivacco Anghilleri Rusconi reservieren muss/kann? Wir werden zu dritt unterwegs sein und wollen weder anderen Leuten den Platz klauen noch wegen voller Belegung abgewiesen werden. Hast du da nähere Infos?
Hey Timon,
nein, ein Biwak kann man nicht reservieren, das ist ja nur eine Notunterkunft. Wenn mehr kommen, als Plätze zur Verfügung stehen, muss man zusammenrücken. Niemand kann dich dort abweisen, wer auch, da ist ja niemand da. In einem Biwak sind Schlafplätze, mehr nicht.
Wenn ihr auf Nummer sicher gehen wollt, nehmt die Originale Route und sucht euch eine Übernachtung im Tal.
Liebe Grüße und viel Spaß bei dieser außergewöhnlichen Tour!
Liebe Grüße
Romy
Vielen Dank für deine Antwort, das hilft uns sehr weiter. Waren uns nicht ganz sicher wie da die Gepflogenheiten sind und planen das Biwak jetzt fest ein ????
Hallo Romy,
das hört sich nach einer tollen Tour an! Ich würde sie gerne im Sommer auch wandern, mit einem Hund der zwar viel Ausdauer hat, jedoch bisher keinerlei alpine Erfahrung… meinst du die Tour ist geeignet?
LG Daria
Hey Daria,
schön, dass dir die Tour gefällt. Für einen gänzlich alpin unerfahren Hund finde ich die Tour ehrlich gesagt nicht geeignet. Da sind schon sehr lange und auch anspruchsvolle Passagen dabei. Der Hund soll ja auch bei seiner ersten Tour nicht die Freude daran verlieren. Ich würde mir an deiner Stelle für den Anfang eine andere Tour vornehmen. Den Meraner Höhenweg zum Beispiel oder die Tour im Sarntal.
Liebe Grüße
Romy
Hallo Romy,
vielen Dank für dein Feedback! Ich werde es beherzigen und mich nach einer anderen deiner Touren umschauen:)
LG Daria
Liebe Romy
War grad an der „Projektskizze“ meiner Bernina-Wanderung mit Hund und ta-daa!! bin ich auf deine Webseite gestossen! Verbringe nun den Sonntag damit, deine Berichte zu lesen während mein Hund zu meinen Füssen schläft. Tolle Seite, ein Aufsteller!
Herzlicher Gruss aus der Schweiz
Hey,
sehr passend, dass ich da schon was zu geschrieben habe und dir das nun die Planung erleichtert. Hab viel Freude auf deiner Tour – sie ist wirklich ein Traum, würde ich sofort wieder gehen.
Liebe Grüße
romy
Danke für die Beschreibung, Romy! Hat mir bei einer 5-Tage-Tour südlich der Bernina im Juni sehr geholfen. Tolle Gegend da, und sehr schön Webseite 🙂 LG, Philipp
Danke dir, Philipp! Freue mich sehr, dass dir die Beschreibungen gut geholfen haben!
Hallo Romy, ich bin letztes Jahr mit meinem Collie den Prättigauer Höhenweg gegangen. Unsere erste gemeinsame Tour. Wunderschön. Ist die Bernina Tour als 2. Bergabenteuer geeignet oder lieber noch was Leichteres? Liebe Grüße, Fynn